Besuch bei David Gilmour: „Ich habe es immer vorgezogen, ein Teil von etwas zu sein“

David Gilmour lächelt. Kurzes Nachdenken. Dann beantwortet er die letzte Frage nicht. „Thank you for the lovely interview“, sagt der 79-jährige Gitarrist und Sänger stattdessen. Danke für das schöne Gespräch. Ob er das, was Roger Waters, sein früherer Mitstreiter bei Pink Floyd, von sich gibt, verfolgt, dazu will er sich nicht äußern. Wenn er von Waters spricht, nennt er ihn „die Person, die gegangen ist“.
Waters verließ Pink Floyd 1985 im Streit. Gilmour, „A Fucking Legend“, wie er sich in einer Dokumentation zum neuen Konzertfilm „Live at the Circus Maximus, Rome“ selbst vorstellt, macht mittlerweile mehr als doppelt so lange ohne ihn Musik als mit ihm zusammen. Für ihn ist das Thema erledigt – zumal die Band vor einem Jahr ihre Musikrechte nach langwierigen Verhandlungen insbesondere zwischen den beiden Hauptsongschreibern an ihre Plattenfirma Sony Music verkauft hat. Wie es heißt, für rund 400 Millionen US-Dollar.
Pink Floyd sind nicht die Einzigen, die in dieser Hinsicht losgelassen haben, auch Bob Dylan, Bruce Springsteen und Queen haben ihre Kataloge verkauft. Warum eigentlich? Erst, in jungen Jahren, haben viele der heutigen Superstars darum gekämpft, die Kontrolle über ihre Musik zu behalten, um nicht ausgenommen zu werden. Und nun, im höheren Alter, geben manche die Kontrolle für viel Geld ab.
„Für mich nahm die Verantwortung, unser Vermächtnis zu bewahren, zu viel Platz ein, sodass ich mich nicht darauf konzentrieren konnte, Künstler zu sein“, sagt Gilmour. Seit Waters‘ Abgang habe es „nichts als Ärger“ um die früheren Aufnahmen gegeben. „Bald werden wir alle tot sein, und dann liegt es sowieso nicht mehr in unserer Hand. Man könnte die Rechte Familienangehörigen vermachen. Aber würden sie es besser handhaben als eine Plattenfirma? Ich bin mir da nicht sicher.“

Gilmour hat sich offenkundig befreit. „Diese Lasten der Geschichte können deine Kreativität hemmen“, sagt er. „Wenn ich jetzt einen unserer Songs in der Werbung höre, denke ich nicht weiter darüber nach.“
Das Interview findet im Gartenhaus auf Gilmours Grundstück im Südwesten Londons statt. Dort liegt auch sein zum Tonstudio umgebautes Hausboot. Der Weg vom Bahnhof Hampton Court zu seinem Refugium an der Themse ist übersät mit vom Baum abgefallenen Kastanien. Ein Sinnbild für die Zeit, die vergeht. Der Sommer ist schon wieder vorbei.
Hier, auf der „Astoria“, hat er mit dem Rest von Pink Floyd auch „High Hopes“ aufgenommen. „Running before time took our dreams away“, heißt es in dem Song von 1994. Man muss sich beeilen, bevor die Zeit die Träume raubt. Auch auf seinem aktuellen Soloalbum singt der 79-Jährige über die unerbittliche Vergänglichkeit und die Realität, die große Erwartungen bisweilen in große Enttäuschungen verwandelt.

„Es ist Zeit für diesen sterblichen Mann, das Kind zu lieben, das meine Hand hält, und die Frau, die lächelt, wenn ich sie umarme“, singt Gilmour im Titelstück „Luck and Strange“. „Diese Augen bleiben trocken, aber meine … oh meine Gitarre …“ Gilmour lässt seine Gitarre für sich weinen. Seine Musik ist tief im Blues verwurzelt. Ist es das, was sein Spiel prägt, sein Kummer? „Nun, es ist die alte Geschichte, nicht wahr? Die Menschen haben große Schwierigkeiten, Kunst über Glück zu erschaffen“, antwortet Gilmour. Wie vielen anderen gelinge es ihm am leichtesten, eine Verbindung zu seinem Publikum zu knüpfen, indem er über Einsamkeit oder Verlust singe, Themen, die alle Menschen gleichermaßen bewegen.
In Rom spielte er die Pink-Floyd-Hymne „Comfortably Numb“ als Zugabe. Sein Gitarrensolo wirkt wie ein Fluchtvehikel. Manche Menschen wie Pink – der vereinsamte, verzweifelte Protagonist des Konzeptalbums „The Wall“ – brauchen Medikamente, um sich „angenehm betäubt“ zu fühlen. Tröstet Gilmour sein eigenes Gitarrenspiel?
Gilmour seufzt. „Das ist eine ziemlich komplizierte Frage. Ich kann sie nicht beantworten.“ Anders gefragt: Ist er ein Instinkt-Gitarrist? „Polly sagt, dass ich durch meine Gitarre spreche“, antwortet er. Er denke nicht darüber nach, was er bewirken will. Er spiele einfach, was sich richtig anfühlt. Die Kommunikation mit anderen sollte er nach Ansicht seiner Frau, der Autorin Polly Samson (63), besser immer seinem Instrument überlassen, erzählt er.
Samson schreibt seit dem Zerwürfnis mit Waters fast alle Songtexte für ihren Mann. Sie sprach ihm wohl auch aus der Seele, als sie Waters, der BDS, eine Boykottkampagne gegen Israel, unterstützt, bei X unter anderem als „durch und durch antisemitisch“ sowie als „Putin-Versteher“ und „frauenfeindlichen, vor Neid kranken Größenwahnsinnigen“ verurteilte. „Jedes Wort ist nachweisbar wahr“, twitterte Gilmour hinterher. Er selbst liefert solche markigen Statements eher nicht.
Auf der Bühne gibt sich der Gitarrist wortkarg, wie der Rom-Mitschnitt unterstreicht. Bei Gilmour ist der Sound der Star. Die Musiker und Musikerinnen, die ihn auf seiner jüngsten Tour begleiteten, nennt er „die beste Band, in der ich je gespielt habe“.
Besser als Pink Floyd? Wirklich? Weil seine 23-jährige Tochter Romany im Background singt? Weil diese Band ihm „ein Gefühl von Freiheit“ gebe, sagt er. Die Art von Geborgenheit, die ihm lange fehlte, wie es scheint. Er habe sich nie danach gesehnt, weder Bandleader von Pink Floyd noch ein Solokünstler zu sein. „Ich habe es immer vorgezogen, ein Teil von etwas zu sein“, sagte er vor der Veröffentlichung von „Luck and Strange“, das er aus demselben Grund für das beste Album hält, das er seit dem weltweiten Bestseller „The Dark Side of the Moon“ von 1973 gemacht hat. „Ich weiß, dass mir nicht viele Menschen zustimmen würden.“

Pink-Floyd-Songs spielt Gilmour nur seinem Publikum zuliebe. Am liebsten würde er sie weglassen. Nicht, weil er Titel wie „Wish You Were Here” nicht liebe, sagt er, sondern weil er sie so oft schon gespielt habe. „Ich wäre froh, wenn ich sie nicht spielen müsste.“ Aber so egoistisch sei er nicht. Er weiß, dass manche Lieder für seine Fans Weltwunder-Status haben. Und so verbindet er bei seinen Auftritten die Zeiten, wenn es etwa um das Thema Älterwerden und Tod geht.
Im Intro des 52 Jahre alten „The Great Gig In The Sky“ verkündete Gerry O’Driscoll, der damalige Pförtner der Abbey Road Studios: „Warum sollte ich Angst vor dem Sterben haben? Es gibt keinen Grund dafür. Irgendwann muss man gehen.“
Gilmour sieht es ähnlich. „Wir alle werden das durchmachen. Wir alle werden aufhören zu existieren“, sagt er. Klar habe er Angst, so wie wohl die meisten Menschen. Doch Zeilen wie in „Scattered“ helfen, sich dagegen zu wehren. „Ich stehe in einem Fluss, stemme mich gegen den Strom, die Zeit ist eine Flut, die nicht gehorcht“, beschreibt er in dem Song von 2024 das unausweichliche Verblassen.
Gilmour und Waters sind nicht die Gallaghers. Es wird keine Reunion wie bei Oasis geben. Ersatzbefriedigung bieten unzählige Coverbands wie The Australian Pink Floyd Show oder Brit Floyd. Sie erinnern daran, dass Alben wie „The Wall“ oder „Animals“ auch heute noch, in Zeiten neuer Vereinfacher, Hetzer und Demokratiefeinde, relevant sind.
Was hält Gilmour von den Kopien? Wie erklärt er sich deren enormen Erfolg? „Es gibt viele Menschen auf der Welt, die Pink Floyd gern sehen wollen. Aber Pink Floyd wird nicht zu ihnen kommen“, sagt er. „Diese Coverbands erfüllen eine wertvolle Aufgabe.“ Er würde jedoch speziell die Gitarristen dazu ermutigen, ihn nicht Note für Note zu kopieren. „Die Gitarristen sollten die ersten sechs Noten so wie ich spielen und sich dann von allen Zwängen befreien.“
rnd